Einsamkeit ist längst kein Randthema mehr – sie hat sich zu einer der drängendsten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit entwickelt. Aktuelle Studien zeigen das erschreckende Ausmaß: Millionen Menschen in Deutschland leiden unter diesem belastenden Gefühl, und die Zahlen steigen kontinuierlich.
Alarmierende Zahlen: Wie verbreitet ist Einsamkeit in Deutschland?
Die Datenlage ist eindeutig und besorgniserregend. Der Einsamkeitsreport 2024 der Techniker Krankenkasse (TK) offenbart, dass rund 60 Prozent der Menschen in Deutschland das Gefühl der Einsamkeit kennen. Dabei sind vier Prozent häufig einsam, 13 Prozent manchmal und 41 Prozent zumindest selten.
Besonders betroffen sind junge Menschen: In der Gruppe der 18 bis 39-Jährigen geben 68 Prozent an, sich häufig, manchmal oder selten einsam zu fühlen. Die Bertelsmann-Stiftung fand in ihrer Studie von 2024 heraus, dass knapp die Hälfte (46 Prozent) der 16- bis 30-Jährigen sich einsam fühlen. In dieser Gruppe fühlen sich 35 Prozent moderat einsam und etwa 10 Prozent sogar stark einsam.
Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung berichtet, dass sich heute jeder Dritte zwischen 18 und 53 Jahren zumindest teilweise einsam fühlt. Die Pandemie hat diese Entwicklung dramatisch beschleunigt: Während von 2005 bis 2017 der Anteil der Einsamen im jungen und mittleren Erwachsenenalter recht stabil zwischen 14 und 17 Prozent lag, ist er mit Beginn der Coronapandemie im Jahr 2020 sprunghaft auf knapp 41 Prozent angestiegen.
Freiburg im Fokus: Lokale Dimension eines nationalen Problems
Um diese abstrakten Zahlen greifbarer zu machen, lohnt sich ein Blick auf Freiburg im Breisgau. Mit mehr als 237.000 Einwohner:innen ist die Universitätsstadt ein repräsentatives Beispiel für deutsche Großstädte.
Überträgt man die nationalen Zahlen auf Freiburg, ergibt sich folgendes Bild:
- Allgemeine Einsamkeit: Bei 60 Prozent der Bevölkerung würde das bedeuten, dass etwa 142.200 Freiburger das Gefühl der Einsamkeit kennen
- Häufige Einsamkeit: 4 Prozent entsprechen rund 9.500 Menschen in Freiburg, die sich häufig einsam fühlen
- Junge Erwachsene: Bei geschätzten 50.000 Menschen zwischen 18 und 39 Jahren in Freiburg wären etwa 34.000 von Einsamkeitsgefühlen betroffen
Diese Zahlen verdeutlichen, dass Einsamkeit kein abstraktes Problem ist, sondern konkret vor unserer Haustür existiert – in den Straßen, Cafés und Wohnungen unserer Stadt.
Einsamkeit und Depression: Ein verhängnisvoller Zusammenhang
Besonders dramatisch wird die Situation, wenn Einsamkeit und Depression zusammentreffen. Das Deutschland-Barometer Depression 2023 der Stiftung Deutsche Depressionshilfe zeigt: Ein Viertel der Erwachsenen in Deutschland fühle sich sehr einsam. Mehr als doppelt so viele (53 Prozent) befinden sich nach eigenen Angaben in einer depressiven Phase.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Bei Menschen mit Depression berichtet sogar jeder Zweite vom Gefühl großer Einsamkeit. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass Einsamkeit ein Symptom der Depression und weniger deren Ursache ist. Wie Professor Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, erklärt: „Sogar im Kreise der Familie oder Freunde haben viele Menschen in der depressiven Krankheitsphase das quälende Gefühl, von Umwelt und Mitmenschen abgeschnitten zu sein. Sie fühlen sich isoliert wie hinter einer Milchglasscheibe“.
Die Verbindung zwischen beiden Phänomenen ist komplex: Einsamkeit war deutlich mit Depressivität und Angst assoziiert, und unterschiedliche Studien haben inzwischen den Zusammenhang von Einsamkeit und Depressionen nachgewiesen.
Gesellschaftliche Auswirkungen: Mehr als nur ein individuelles Problem
Einsamkeit betrifft nicht nur die Betroffenen selbst, sondern hat weitreichende gesellschaftliche Konsequenzen. Einsame Menschen nehmen seltener an Wahlen teil und engagieren sich weniger, wie Bundesfamilienministerin Lisa Paus betont. Die Bertelsmann-Stiftung fand heraus, dass 76 Prozent der Stark-Einsamen vertreten die Meinung, dass die Politik die Sorgen der jungen Generation nicht ernst nimmt.
Die körperlichen Folgen sind ebenfalls gravierend: Forscherinnen und Forscher der US-Universitäten Brigham Young und North Carolina werteten rund 150 Studien zum Thema Einsamkeit aus und fassten die Resultate so zusammen: Dauerhafte Isolation erhöht das Sterblichkeitsrisiko genauso wie Rauchen und Übergewicht.
Wege aus der Einsamkeit: Hoffnung und konkrete Hilfen
Die gute Nachricht ist: Einsamkeit ist kein unüberwindares Schicksal. Es gibt bewährte Strategien und Hilfsangebote, die Betroffenen helfen können.
Professionelle Hilfsangebote
Deutschland verfügt über ein wachsendes Netzwerk an Unterstützungsangeboten:
- Telefonseelsorge: Die TelefonSeelsorge Deutschland e.V. ist für jeden da. Sie bietet allen Ratsuchenden bei Problemen und Krisen in jeder Lebensphase ein offenes Ohr
- Silbernetz: Speziell für ältere Menschen bietet das Silbertelefon Unterstützung
- REDEZEIT FÜR DICH: Eine Plattform mit über 350 ausgebildeten ehrenamtlichen Zuhörer*innen, die Menschen wertfrei und kostenlos zuhören
Selbsthilfe-Strategien
Experten empfehlen das EASE-Programm des Neurowissenschaftlers John Cacioppo:
- Erweitern des Aktionsradius
- Aktionsplan entwickeln
- Selektieren passender Kontakte
- Erwartung des Besten
Der Weg aus der Einsamkeit führt nicht über Quantität, sondern die Qualität von Beziehungen ist entscheidend. Konkrete Schritte können sein:
- Nutzen Sie alltägliche Wege, um mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Einkaufen gehen, beim Bäcker, an der Haltestelle, im Treppenhaus, im Wartezimmer – überall sind andere Menschen
- Ehrenamtliches Engagement: Für die kranke Nachbarin einkaufen oder Kindern aus Familien mit Sprachproblemen bei den Hausaufgaben helfen. „Dann ist man nicht mehr so hilflos und merkt, dass man etwas bewirken kann – und kommt mit Menschen in Kontakt“
- Man muss es sich wert sein, sich etwas Gutes zu tun. Auch alleine kann man Spaß haben beim Kochen, Spazierengehen, ins Kino gehen
Gesellschaftliche Lösungsansätze
Die Bundesregierung hat mit ihrer Strategie gegen Einsamkeit wichtige Weichen gestellt. Die Strategie umfasst mittlerweile 132 konkrete Maßnahmen. Das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) bietet eine digitale Angebotslandkarte, mit der Betroffene passende Hilfen in ihrer Nähe finden können.
Auf lokaler Ebene entstehen innovative Projekte wie „Wege aus der Einsamkeit“, das digital und analog kostenfeie Gesprächsrunden anbietet, oder die Malteser mit ihrem Besuchs- und Begleitungsdienst, bei dem qualifizierte ehrenamtliche Mitarbeiter sich um alte, kranke und einsame Menschen kümmern.
Ein Appell zum Handeln
Einsamkeit ist ein Thema, das uns alle angeht – ob als Betroffene, Angehörige oder Mitglieder der Gesellschaft. „Umso wichtiger ist es, Einsamkeit aus der Tabuecke herauszuholen und miteinander in den Austausch zu kommen. Denn es kann jede und jeden treffen – über alle Altersgruppen hinweg“, betont TK-Chef Jens Baas.
Die Zahlen mögen erschreckend sein, aber sie zeigen auch: Wer sich einsam fühlt, ist nicht allein mit diesem Gefühl. Hilfe ist verfügbar, Wege aus der Einsamkeit sind möglich. Es liegt an uns allen, diese Wege gemeinsam zu beschreiten – als Gesellschaft, als Gemeinschaft und als Menschen, die füreinander da sind.
Für Freiburg bedeutet das konkret: In einer Stadt mit über 237.000 Einwohnern, in der statistisch gesehen mehr als 140.000 Menschen Einsamkeit kennen, ist es wichtiger denn je, aufeinander zu achten, Hilfsangebote zu schaffen und das Thema aus der Tabu-Zone herauszuholen.
Wenn Sie selbst von Einsamkeit betroffen sind oder jemanden kennen, der Hilfe braucht: Zögern Sie nicht, sich an die Telefonseelsorge (0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222), das Silbertelefon (0800 4 70 80 90) oder andere lokale Beratungsstellen zu wenden. Professionelle Hilfe ist keine Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke.