Freiburg-Innenstadt-Martinstor

Wer durch die Kaiser-Joseph-Straße in Freiburg schlendert, kommt unweigerlich an einem der beeindruckendsten historischen Wahrzeichen der Stadt vorbei: dem Martinstor. Als einer von ursprünglich fünf Türmen der mittelalterlichen Stadtbefestigung hat es eine bewegte Geschichte hinter sich. Während seine Gefährten – das Christoffelstor, das Predigertor und das Lehener Tor – längst verschwunden sind, konnte sich das Martinstor gemeinsam mit dem Schwabentor über die Jahrhunderte behaupten und ist heute ein unverzichtbarer Teil der Freiburger Stadtsilhouette.

Die Anfänge: Entstehung im Mittelalter

Die Geschichte des Martinstors reicht weit zurück ins Mittelalter. Durch dendrochronologische Untersuchungen (Altersbestimmung anhand der Jahresringe von Holz) konnte ermittelt werden, dass die für den Bau verwendeten Bäume im Winter 1201/1202 gefällt wurden. Als „Porta Sancti Martini“ wurde das Tor erstmals 1238 urkundlich erwähnt.

Im Mittelalter war es auch unter dem Namen „Norsinger Tor“ bekannt, da der Durchlass in Richtung der gleichnamigen Gemeinde führte. Die ursprüngliche Grundfläche des Tors betrug 10 auf 11 Meter, und es war bündig in die damalige Stadtmauer eingefügt. Vor dem Tor befand sich ein etwa 5 Meter tiefer und 12 Meter breiter Graben, der nur über eine Brücke überwunden werden konnte. Zusammen mit der Stadtmauer und den anderen Toren bildete es eine komplette Wehranlage zum Schutz der Stadt.

Das Tor ist nach dem Heiligen Martin von Tours benannt, einem im 4. Jahrhundert in Frankreich lebenden Schutzpatron der Reisenden und Soldaten. Ob das Tor bereits bei seiner Entstehung ein Bild des Heiligen trug oder dieser Name aus einem anderen Grund gewählt wurde, ist historisch nicht eindeutig belegt.

Veränderungen durch die Jahrhunderte

Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Martinstor mehrfach umgebaut und diente verschiedenen Zwecken. Besonders interessant ist, dass es zeitweilig auch als Gefängnis genutzt wurde – hauptsächlich für Schuldner, die ihre Verbindlichkeiten nicht begleichen konnten. Von diesen Gefangenen sagte man scherzhaft, man habe ihnen „den Martinsmantel umgehängt“.

Seit dem 17. Jahrhundert war die Stadtseite des Tors mit einem Bildnis des Heiligen Martin geschmückt. Dieses Bild wurde mehrmals erneuert, zuletzt 1851 von Wilhelm Dürr. Während der Festungsbauzeit durch Sébastien Le Prestre de Vauban verlor das Martinstor seine Verbindung zu den Vorstädten durch die Einebnung derselben. Stattdessen diente nun die Salzstraße als Zufahrt aus dem Höllental.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts blieb das Martinstor in seiner grundlegenden Struktur weitgehend unverändert. Die ursprüngliche Höhe betrug etwa 22 Meter, was für die damalige Zeit durchaus beeindruckend war.

Der große Umbau um 1900: Vom mittelalterlichen Tor zum Stadtturm

Die wohl dramatischste Veränderung erfuhr das Martinstor gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Mit dem Aufkommen moderner Verkehrsmittel – insbesondere der Planung einer elektrischen Straßenbahn – forderten Teile der Bürgerschaft und Geschäftsleute aus verkehrstechnischen Gründen den Abriss der beiden noch erhaltenen Stadttore.

Doch der damalige Oberbürgermeister Otto Winterer (im Amt von 1888 bis 1913) setzte sich vehement für ihren Erhalt ein. Seine Haltung brachte er mit dem denkwürdigen Satz zum Ausdruck: „Dörfer haben Dächer, Städte haben Türme!“ Für ihn waren die historischen Tore nicht nur Verkehrshindernisse, sondern wichtige Symbole der Stadtidentität.

Im Juni 1896 begann ein Wettbewerb unter deutschen Architekten, um einen Entwurf für die Ausgestaltung von Martins- und Schwabentor auszuwählen. Nach einigen Wendungen in der Planung – unter anderem wegen des beschlossenen Baus der elektrischen Straßenbahn, der eine Zurücksetzung der an die Türme grenzenden Privathäuser erforderte – fiel die Entscheidung für einen radikalen Umbau.

Statt das Martinstor abzureißen, wurde es spektakulär erhöht – von 22 auf etwa 60-66 Meter (die Quellen variieren hier leicht in den genauen Angaben). Der Architekt Carl Schäfer schlug diese dramatische Erhöhung vor, da die umliegenden Häuser inzwischen deutlich höher gebaut worden waren. Sein Entwurf kombinierte die bestehenden mittelalterlichen Bauteile mit spätgotischen Aufbauten, die dem Stil des 15. Jahrhunderts nachempfunden waren.

Neben dem ursprünglichen Tor wurde ein zweiter, größerer Durchgang errichtet, um dem gestiegenen Verkehrsaufkommen gerecht zu werden. Die Toraußenseite wurde mit einem aufgemalten deutschen Reichsadler über den Wappen von Freiburg und Baden geschmückt – eine Dekoration, die 1951 wieder entfernt wurde.

Im Sommer 1901 wurde schließlich Richtfest gefeiert, und das Martinstor präsentierte sich in seiner neuen, imposanten Gestalt, die bis heute das Stadtbild prägt. Der Umbau erfolgte durch das Freiburger Bauunternehmen Geis & Bauer.

Das Martinsbild: Eine unendliche Geschichte

Eine besondere Geschichte rankt sich um das Bildnis des Heiligen Martin, das traditionell das Tor schmückte. Das letzte historische Bildnis wurde 1968/69 entfernt.

Das Martinstor heute

Heute durchqueren täglich Straßenbahnen, Radfahrer und Fußgänger das Martinstor – es ist eines von nur vier historischen Stadttoren im deutschsprachigen Raum, die von Straßenbahnen durchfahren werden. Die anderen sind das Schwabentor in Freiburg, das Nauener Tor in Potsdam und der Käfigturm in Bern.

An der Innenseite des Martinstors erinnert eine Gedenktafel an die Opfer der Hexenverfolgung. Obwohl das Martinstor selbst nicht als Gefängnis für Hexen diente (diese waren hauptsächlich im nicht mehr existierenden Christoffelstor inhaftiert), steht die Tafel stellvertretend für alle Opfer der Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert.

In der kleinen Seitengasse beim Tor, dem Martinsgässle, befinden sich neben dem Eingang zur Freiburger Markthalle das Martinsbräu – ein beliebter Treffpunkt für Einheimische und Touristen.

Fazit: Ein lebendiges Stück Stadtgeschichte

Das Martinstor ist weit mehr als nur ein historisches Bauwerk – es ist ein lebendiges Zeugnis der bewegten Geschichte Freiburgs. Von seiner Entstehung im frühen 13. Jahrhundert über seine Funktion als Verteidigungsanlage, Gefängnis und Stadttor bis hin zu seiner heutigen Rolle als Wahrzeichen und Touristenattraktion spiegelt es die Entwicklung der Stadt wider.

Besonders bemerkenswert ist, wie das Tor gegen Ende des 19. Jahrhunderts dem drohenden Abriss entging und stattdessen in monumentaler Weise ausgebaut wurde – ein frühes Beispiel für Denkmalschutz in einer Zeit, als der Fortschritt oft über die Bewahrung historischer Bausubstanz gestellt wurde.

Heute steht das Martinstor als Symbol für die Fähigkeit Freiburgs, seine reiche Geschichte zu bewahren und gleichzeitig mit der Zeit zu gehen. Es verbindet auf einzigartige Weise Vergangenheit und Gegenwart und erinnert uns daran, dass Geschichte nicht nur in Büchern, sondern auch in den Straßen und Bauten unserer Städte lebendig ist.


Historische Ansicht des Martinstors zu Beginn des letzten Jahrhunderts

Von BSF

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